Frank Bergmann - Stärke und Mut
Als Baby einer ledigen Mutter Anfang der sechziger Jahre ins Kinderheim gegeben, weiß Michael nicht, was Eltern sind. Er hat eine alles andere als behütete Kindheit. Im Alter von fünf Jahren wird er von Inge und Joachim als Pflegekind aufgenommen. Glücklich endlich eine Familie zu haben, ahnt Michael nicht, dass er vor einem Martyrium steht. Überfordert mit dem Heimkind und wütend auf ihr eigenes Versagen als Mutter, richtet Inge all ihre Wut gegen Michael. Sie misshandelt ihn körperlich und psychisch. Während ihre Übergriffe immer heftiger werden, entwickelt Michael eigene Strategien, um seine Würde zu schützen, zu überleben und zu leben. Erst spät beginnt er, die Beweggründe seiner leiblichen Eltern zu hinterfragen, zu verstehen und die schicksalhafte Verbindung zu ihnen zu erkennen. Vor dem Hintergrund der düsteren und emotional kalten Zeit des späten Nachkriegsdeutschland der sechziger Jahre, ist dieses Buch das spannend und lebendig erzählte Psychogramm eines jungen Mannes, seiner Eltern und der Suche nach Geborgenheit und Selbstbestimmung.
Ich hatte das Glück, den Autor bei einer Lesung kennenzulernen, die der Franzius-Verlag organisiert hatte. Ich war zunächst skeptisch, denn das Buch klingt nach schwerer Kost, vor allem vor dem Hintergrund, dass es größtenteils auf tatsächlich Erlebtem basiert. Aber die (sehr gut!) vorgelesenen Passagen machten Appetit auf mehr und so kaufte ich das Buch. Ich hatte so eine sichere Ahnung, es würde gut werden.
Ein paar Jahre liegen zwischen uns, aber die 60er hab ich als Kind ja auch noch miterlebt, so dass ich die Zeit gut nachempfinden konnte. Was ich dann las, war einerseits beklemmend, weil es sehr persönlich ist, andererseits, wenn man es einfach mal als Buch betrachtet, ist es von der ersten Seite an spannend erzählt und von einer gnadenlosen Authentizität, dass man einfach wissen will, was aus Michael wird und schlichtweg weiterlesen muss. Man leidet mit ihm mit und ist so nah dran, als würde einem an ruhigen Abend bei einem Glas Wein die Lebensgeschichte eines Freundes erzählt und man vergisst die Zeit.
Ein Buch, das berührt und das zum Nachdenken anregt und das ich nur wärmstens empfehlen kann.
Es wird für mich eines der persönlichsten Bücher bleiben, die ich je gelesen habe.